Lernen, das bewegt: Wie gehirngerechtes Training Transformation unterstützt
„Wissen wird nicht einfach übertragen – es wird konstruiert.“
Diese Erkenntnis aus der modernen Neuropsychologie steht im Zentrum des Trainingsansatzes „Training from the Back of the Room“ (TBR) von Sharon Bowman. Was auf den ersten Blick wie eine provokante Methode klingt (was macht denn der /( die Trainer:in dann?), ist ein fundiertes Konzept, das gehirngerechtes Lernen ermöglicht – praxisnah, evidenzbasiert und überraschend wirksam.
Wann ist TBR nützlich?
In Zeiten ständigen Wandels brauchen wir mehr als nur Wissensvermittlung – wir brauchen Transformation durch Erfahrung. TBR begegnet dieser Notwendigkeit mit einem Format, das nicht den Trainer ins Zentrum stellt, sondern das Lernen der Teilnehmenden. Es ist ein Paradigmenwechsel – weg von Frontalunterricht, hin zu Co-Kreation, Bewegung, Aktivierung und echter Integration.
Die 4Cs: Der Lernprozess als Erfahrungsreise
Sharon Bowman hat vier zentrale Phasen identifiziert, die gehirngerechtes Lernen ermöglichen – die sogenannten 4Cs:
- Connect – Verbindungen herstellen Lernende knüpfen an vorhandenes Wissen an, bauen psychologische Sicherheit auf und aktivieren ihr Interesse. Methoden: Warm-Ups, Check-ins, persönliche Reflexionen.
- Concepts – Konzepte erleben und verstehen Neue Inhalte werden vermittelt – allerdings nicht als PowerPoint-Vortrag, sondern durch erfahrungsorientierte Zugänge. Methoden: Gruppenarbeit, Lernkarten, interaktive Inputs.
- Concrete Practice – Konkretes Üben Wissen wird angewendet, ausprobiert, reflektiert. Lernen durch Tun, Scheitern und Wiederholen – ein entscheidender Schritt für nachhaltige Verankerung.
- Conclusions – Schlüsse ziehen und transferieren Erkenntnisse werden gesichert, nächste Schritte geplant. Hier entsteht der persönliche Transfer – aus dem Workshop heraus in den Alltag.
Diese vier Phasen spiegeln auch den Lernzyklus von David Kolb wider – vom Erleben über das Reflektieren bis zum konzeptionellen Verstehen und aktiven Anwenden.
Neuropsychologische Perspektive: Lernen ist Bedürfniserfüllung
Die Neuropsychologie zeigt: Lernen funktioniert nur im Einklang mit unseren Grundbedürfnissen. Der Psychologe Klaus Grawe hat vier zentrale Grundbedürfnisse formuliert (die ich hier etwas ergänzt habe):
- Bindung, Verbundenheit, soziale Integration – wir lernen besser in sicheren sozialen Kontexten.
- Sicherheit, Orientierung & Kontrolle, Vorhersehbarkeit – wir brauchen Struktur, aber auch Selbstwirksamkeit.
- Selbstwerterhöhung, Kompetenzerleben, Wirksamkeit, Einfluss, Gerechtigkeit – wir wollen als kompetent wahrgenommen werden.
- Lustgewinn & Unlustvermeidung, Interesse, Explorationsfreude, Leichtigkeit – Freude fördert Lernen.
TBR berücksichtigt all diese Faktoren. Schon die erste Phase – Connect – zielt auf Bindung und Sicherheit ab. Die Wahlfreiheit bei Übungen stärkt Kontrolle und Selbstwirksamkeit. Konkretes Üben ermöglicht Erfolgserlebnisse. Und das gesamte Training ist so aufgebaut, dass Neugier, Humor und Spiel das emotionale System aktivieren.
Lernen mit allen Sinnen: Multisensorik für mehr Transfer
Was wir hören, sehen, fühlen, schmecken und im Raum erleben, prägt unser Lernen. Der Mensch hat mehr als fünf Sinne – etwa auch Propriozeption (Lage im Raum) oder Vestibuläres System (Gleichgewicht).
TBR greift diese Erkenntnisse auf:
- Bewegung (z. B. durch Walk&Talk oder Aufstellungen)
- Visualisierungen (z. B. Flipcharts, Karten, Modelle)
- Haptische Elemente (z. B. Lego®, Post-its, Moderationsmaterialien)
- Emotionale Anker (z. B. durch Storytelling oder Musik)
Der multisensorische Zugang führt zu mehr neuronalen Verknüpfungen – und damit zu nachhaltigerem Lernen.
Sechs Lernprinzipien
Sharon Bowman benennt sechs besonders wirksame Prinzipien für Lernprozesse – wirksame „Trümpfe“, wenn es darum geht, Inhalte nicht nur zu vermitteln, sondern erinnerbar und anwendbar zu machen:
- Bewegung statt Dauersitzen: Bewegung steigert die Sauerstoffversorgung im Gehirn – und damit die Lernleistung. Selbst kleine Aktivitäten, Standortwechsel oder Dehnübungen verbessern Fokus und Merkfähigkeit.
- Sprechen statt nur Zuhören: Wer über Lerninhalte spricht, verarbeitet diese auf mehreren Ebenen. Austausch und Peer-Teaching sorgen für tiefere Integration.
- Visualisieren statt nur erklären: Bilder, Metaphern und Skizzen sprechen das visuelle Gedächtnis an und machen Lerninhalte greifbarer.
- Selbst notieren statt nur mitlesen: Handschriftliche Notizen aktivieren mehrere Hirnareale gleichzeitig – sie sind „Gehirnschrift“ und helfen beim Behalten.
- Kurz statt lang: Unser Gehirn verarbeitet Wissen besser in kleinen Häppchen. Micro-Learning, klare Zeitslots und Wiederholungen fördern die Verankerung.
- Abwechslung statt Routine: Neue Reize und methodische Vielfalt erhalten die Aufmerksamkeit. Überraschungselemente, Storytelling und kreative Formate beugen kognitiver Ermüdung vor.
Diese Prinzipien sind die Grundlage vieler TBR-Methoden – und gleichzeitig konkrete Hinweise, wie Lernsettings gehirngerecht gestaltet werden können.
Praxis-Tipps für Trainer:innen, Facilitator:innen und Führungskräfte
- Starte jede Lerneinheit mit einer Connect-Phase – z. B. einer Frage wie: „Was weißt du bereits über…?“
- Vermeide PowerPoint als Hauptmedium – setze auf Modelle zum Anfassen, Visuals zum Mitdenken.
- Binde regelmäßig Bewegung ein – der Wechsel von Sitz- und Stehphasen aktiviert Körper und Geist.
- Nutze Methoden wie das Lern-Logbuch oder Lernpartnerschaften, um den Transfer zu sichern.
- Baue Raum für Reflexion und Selbsterkenntnis ein – z. B. über emotionale Check-ins oder Journaling.
TBR im Kontext von Führung und Change
Führungskräfte sind in Lernprozesse involviert – immer. Ob beim Onboarding, in Transformationen oder in der täglichen Zusammenarbeit: Wer führt, fördert Lernen.
TBR bietet dafür ein starkes Modell:
- Meetings werden interaktiver
- Change-Workshops wirksamer
- Führung wird lernförderlich statt nur zielorientiert
Wenn wir verstehen, wie Menschen lernen, verstehen wir auch, wie Veränderung gelingt.
Fazit: Die Zukunft des Lernens ist ko-kreativ
„Training from the Back of the Room“ ist kein Toolkasten – es ist ein Mindset. Eines, das Menschen ermächtigt, ihre eigene Lernreise zu gestalten. Mit Neugier, Sicherheit, Bewegung und Emotion.
Ein Ansatz, der nicht nur Inhalte vermittelt, sondern Veränderung ermöglicht.
Du möchtest das Modell in deiner Organisation einsetzen oder erlebbar machen? Dann lass uns sprechen. Wir bieten auch organisationsinterne Train the Trainer-Konzepte an.