Die Kosten der Nicht-Entscheidung
Entscheidungen – oder besser gesagt – Nicht-Entscheidungen sind ein Dauerbrenner in meinen Gesprächen mit Menschen in Organisationen und in vielen Coachings.
Entscheidungen sind ja eine ganze Wissenschaft für sich. Im organisationalen Kontext noch mehr. Habt ihr mit euren Teams schon mal besprochen, wie ihr Entscheidungen trefft? Falls nein, dann empfehle ich die 21 unterschiedlichen Decision Methods von Jurgen Appelo, die ihr hier findet: https://unfix.com/decision-methods
Um Auszuhandeln, was eigentlich wer entscheidet – dann ist Delegation Poker ein guter Ansatz: https://management30.com/practice/delegation-poker/
Meine persönlichen Favoriten sind neben den bekannteren Methoden übrigens Konsent (Veto-Recht oder „safe enough to try“) oder auch Fist to Five. All diese Tools lassen sich auch gut in den Führungsalltag und natürlich Workshops einbauen, was ich immer gerne mache.
Was aber viel spannender ist, ist der Blick auf Nicht-Entscheidungen. Warum treffen Menschen keine Entscheidungen? Wohlwissend, dass eine Nicht-Entscheidung auch eine Entscheidung ist. Für den Status Quo. Vielleicht für die Verlängerung bestehender Schmerzen.
Meist kommen Entscheidungen mit „Trade-Offs“ – also neben Gewinnen auch den Verlusten, die sie nach sich ziehen. Und die fürchten manche. Und natürlich das altbekannte Thema: bloß keine Fehler machen und die falsche Entscheidung treffen. Oft liegen die Gründe auch im Inneren, in (gefühlten) Ambi- oder Multivalenzen oder der eigenen Ambiguitätstoleranz. (Wie man selbst so damit tickt und was man daran verändern kann, wenn man mag, ist ein super Thema fürs Coaching.)
Nicht-Entscheidungen haben also Vorteile. Meist für eher diejenigen, die in der Lage sind, die Entscheidungen nicht zu treffen. Und wenn man nicht immer an das Thema denken muss, was eigentlich entschieden werden sollte, kann das Ganze für eine gewisse Zeit sogar ziemlich bequem sein. Problem: sie kommen irgendwann doch zurück.
Nicht-Entscheidungen haben in einer Organisation noch einen weiteren riesengroßen Nachteil: sie sind extrem frustrierend für alle anderen, die davon abhängen. Nicht (oder nur schwer) quantifizierbare Folgen: sinkende Energie für Themen, längere Zeiten für Zielerreichung, verpasste Chancen beim Kunden oder am Markt, Demotivation und innere Kündigung, Vertrauensverlust, Abwanderung von Projektmitgliedern an andere Projekte – die Liste lässt sich wahrscheinlich unendlich fortführen.
Gut wäre es also, nicht nur die Kosten einer Entscheidung pro und con, sondern auch die (reellen und unbezifferbaren) Kosten einer Nicht-Entscheidung in Entscheidungsunterlagen mitaufzunehmen.
P.S. Entscheidungen kann man revidieren. Tut manchmal gar nicht so weh. Oder tut weh und kostet auch was und vielleicht mehr als die ursprüngliche Entscheidung, aber vielleicht nicht so viel wie die Kosten einer Nicht-Entscheidung.
P.P.S. Ein Beispiel aus der Realität: die Kosten einer Ja-Entscheidung wären 100.000 Euro gewesen. Die Kosten einer Nein-Entscheidung 1.000.000 Euro. Die Kosten einer Nicht-Entscheidung: 1.000.000 Euro (weil die Option für Ja auslief) und mehr, bedingt durch die bekannten Faktoren oben. Da frage ich mich ernsthaft, warum es monatelang keine Entscheidung gab?
P.P.S. Am allerschönsten wäre es, Entscheidungen im Unternehmen dort zu verankern, wo die Notwendigkeit für Entscheidungen entstehen – und dann schnell Menschen entscheiden lassen zu können. Das schöpft Wert und macht dann sogar richtig Freude!